Warum Erinnerungskultur noch heute wichtig ist und wie junge Menschen sie erleben
Jüdinnen und Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, politische Gegnerinnen und Gegner, Menschen mit Handicap – für sie alle und auch viele weitere Menschen war das Leben im Nationalsozialismus grauenvoll und das Überleben ein Kampf. Millionen von Menschen fielen dem Holocaust während der NS-Zeit zum Opfer. Sie wurden entmenschlicht, missbraucht und enteignet. Die von den Nazis verübten Verbrechen und das Leid der Opfer in Worte zu fassen und zu begreifen ist kaum möglich. Auch, wenn es heute weit entfernt und undenkbar scheint, ist die Zeit des Nationalsozialismus noch keine 80 Jahre her und ein prägender und entscheidender Teil der Geschichte.
Seit einigen Jahren gewinnen im europäischen Raum vermehrt rechtsextreme Parteien an Gehör und Anhängern. Das Leugnen des Holocausts und der völkerrechtswidrigen Verbrechen der Nationalsozialisten gehört häufig zum Programm dieser Gruppierungen. Gleichzeitig sinkt die Zahl der Menschen, die den Holocaust am eigenen Leib erfahren haben nach und nach und immer weniger Menschen können ihre Geschichte als Zeitzeuginnen und -zeugen teilen. Umso mehr gewinnt die Erinnerungskultur an Bedeutung.
Die Erinnerungskultur, zu der Bilder, Texte, Filme und Dokumentationen aber auch Denkmäler, die Arbeit von Organisationen und Gedenkstätten und Zusammenkünfte des Gedenkens gehören, leistet über die Berichte von Zeitzeugen hinaus einen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. Sie ist deshalb Bestandteil des Geschichtsunterrichts an den niedersächsischen Schulen. Ein Besuch einer Gedenkstätte ist für die Schulen nicht verpflichtend, viele Schulen haben sich aber selbst dazu verpflichtet. Das Gymnasium Munster besucht zum Beispiel mit seinen zehnten Klassen die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen.
Die Klasse von Schülerin Lara Maria Simmelbauer war in diesem Jahr zu Besuch in der Gedenkstätte. Der Besuch im Rahmen des Geschichtsunterrichts war ihr erster in der Gedenkstätte. Nachdem sich die Schülerinnen und Schüler in Form von Präsentationen im Geschichtsunterricht mit dem Zweiten Weltkrieg und den damit zusammenhängenden Verbrechen der Nationalsozialisten beschäftigt hatten, diente der Besuch der Gedenkstätte als Ergänzung zu dem bereits erlangten Wissen. „Zu Beginn konnte ich das Gelernte nur schwer einordnen und es mir vorstellen“, so Lara. Ein Dokumentarfilm, der bei dem Besuch der Gedenkstätte gezeigt wurde, beeindruckte sie besonders: „Mir wurde trotz der fehlenden Gebäude, die das teils erschwert haben, klar, wo ich gerade stehe und was die Menschen hier erlebt haben. Das war sehr wichtig, fühlte sich aber zugleich auch erschreckend und bedrückend an“, erzählt die Zehntklässlerin.
Ihrem Mitschüler Risto Schaffran sind einige Zitate von früheren Insassen im Kopf geblieben. Die Berichte und Biografien von Überlebenden hätten es ihm ermöglicht, sich besser in ihre Erfahrungen hineinzuversetzen. „Der Besuch hat Eindrücke hinterlassen, die Stimmung war bedrückt“, so der Zehntklässler, dem die Massengräber, wie auch Lara, an meisten in Erinnerung geblieben seien.
„Der Tod in Bergen-Belsen war qualvoll und das wurde anhand der Ausstellung deutlich“, sagt Maximilian Chatzidimitriadis. Ihn haben die menschenunwürdigen Bedingungen in dem ehemaligen Konzentrationslager erschüttert: „Auf unter 100 Quadratmetern waren bis zu 900 Menschen zu sehen, das war nur noch Haut und Knochen und ähnelte Massentierhaltung“. Durch die Ausstellung und die Tour durch die Gedenkstätte sei die Arbeit der Nazis und die Bereitschaft, anderen Leid zuzufügen, verdeutlicht worden. „Es ist für den ein oder anderen verstörend“, berichtet der Zehntklässler, „aber wenn man es einmal selbst sieht, wird deutlich, was die Nazis getan haben. Diesen Fehler dürfen wir nicht nochmal begehen.“
Die Gesichter der gezeigten Menschen hätten für die Schülerin Lara, die Geschichte dabei nah- und greifbarer gemacht: „Es ist erschreckend, dass das nicht mal die Hälfte der überlebenden Menschen ist“, so die Schülerin. „Ich würde mir wünschen, dass das Thema auch in Zukunft präsent bleibt und tiefgreifend behandelt wird, sodass wir aus den Fehlern lernen. Die deutsche Geschichte sollte aber nicht darauf reduziert werden“, sagt die Gymnasiastin
Text: Sandra Kopa, Fotos: Isaak Chatzidimitriadis